Online , on line and out

Als Weihnachten nur noch wenige Tage entfernt und ich auf der Jagd nach einem letzten Geschenk war, geschah folgendes:

Auf dem Weg zu unserer Bank, direkt zwei Straßen weiter, überholte ich ein altes Mütterchen auf dem Rad. Also, sie war auf dem Rad. Und wenn ich Mütterchen sage, müsst ihr euch alte Filme vor Augen rufen, in denen die Mütterchen so langsam auf ihrem Rad fahren, dass man Angst hat, sie kippen um, sie haben ein freundliches Gesicht, weißes Haar, sind ganz gebeugt, aber kernig. Sie hüten einen ganzen Stall voller Hühner und schlagen ihnen ohne zu zucken den Kopf ab, sie wissen, wann wo der Mond scheint und warum die Kühe dann so schlecht träumen. Was ich damit sagen will: sie haben kein Onlinekonto bei der Bank. Dadurch, dass ich mit dem Auto unterwegs war, hatte ich einen ernst zu nehmenden Vorsprung und als ich gerade mit meinem Geld in der Tasche die Filiale verlassen wollte, kam das Mütterchen herein, rüttelte an der Tür zu den Hütern des Geldes, die wie immer ihre Mittagspause brauchten, ich denke, Geld hin- und herzuschieben, ist sehr anstrengend. Da musst du deine Filiale schon um 9:30 öffnen, hast einen Haufen Kunden, die durchweg dusselige Fragen stellen, nee, da biste einfach mittags um 13:00 für 'ne Stunde so erschöpft, da geht grad mal nichts mehr. Pech für's Mütterchen und irgendwie auch für mich. Ich war die einzige im Geldautomatenraum und sie sprach mich sofort an und fragte, ob ich ihr helfen könne. Ich war für alles zu spät dran, kam mir aber schäbig vor, ihr nicht helfen zu wollen. Also: "Ja klar, gern!" Ein Strahlen ging über ihr Gesicht, das sie direkt in ihren Taschen versenkte. Ihr kennt diese günstigen Stoffeinkaufstaschen der Drogerien. Ich durfte erleben, wie sie eine nach der anderen aus einer anderen großen Tasche zog. Und zwar war eine in die andere gesteckt. Ich glaube, es war Tasche fünf, die die EC-Karte in ihrer Hülle zutage förderte. Das hatte natürlich gedauert, denn sie hatte alles auf dem Boden liegen und musste sich viel bücken. Inzwischen war mir egal, wo ich warum zu spät käme, ich war fasziniert. So, die EC-Karte war gefunden. Da dachte ich, klasse, jetzt geht es los, denn ich sollte mit ihr zusammen Geld abheben, sie macht das so selten und vergisst immer wieder, wie das geht. Aber nee, sie brauchte noch den Zettel mit der PIN. Die nächsten zwei Taschen wurden geleert. Und da kam tatsächlich ein dreimal gefaltetes Blatt zum Vorschein und weil alles so langsam ging, sie hat dieses Blatt ungelogen ein paarmal umgedreht, geguckt, ob es auch das richtige ist, wieder zusammengefaltet, wieder aufgefaltet, konnte ich schon locker mitlesen: 1. Karte in den Schlitz schieben  2. Geldbetrag wählen  3. PIN eingeben. Minutiös hatte sie sich jeden Vorgang aufgeschrieben. Und bei PIN eingeben, stand tatsächlich eine vierstellige Zahl. An der Stelle habe ich mich nach den Kameras umgeschaut. Wir beide waren nun aber ganz hoffnungsfroh, denn es konnte losgehen. Ich bekam von ihr die EC-Karte und schob sie in den Schlitz. Wir waren auf einem guten Weg, sie musste mir nur noch sagen, wieviel Geld ich ordern sollte.

Sie sagte: " 900 Euro."  Ich starrte sie an. Sie zögerte. Und ich dachte, oh, gut, sie hat eine Null zuviel im Kopf gehabt.

Sie sagte: " Ach nein, lieber 1000 Euro."  Ich erstarrte. Und fragte, ob sie wirklich soviel Geld abheben will. Sie sah mich mit treuseligem, aber leicht verletztem Blick von ihren 1,54 m von unten her an und sagte: "Ich habe soviel Geld auf dem Konto!!!"  So, peinlich war es jetzt auch noch. Ich beeilte mich, ihr zu versichern, dass ich natürlich kein bisschen daran zweifelte, dass sie soviel Geld auf dem Konto hat, aber es doch ziemlich gefährlich sei, mit der Tasche voll Geld durch die Gegend zu fahren. Und das so langsam. Nur gedacht, klar. Und das Mütterchen sagte, in ihrem Ort gäbe es keine Geldautomaten und sie käme so selten zur Bank. Sie bräuchte einfach einen Geldvorrat. Himmel. Okay, ich hatte die PIN ja schon vor zehn Minuten gelesen und die probierten wir jetzt aus, sie meinte auch, sich erinnern zu können, dass das die richtige sei. 1000 € eingegeben und die PIN hinterhergeschoben. Ich denke, ihr ahnt es. Es war die falsche. Gott, sie brach quasi zusammen, ich gab ihr die Karte wieder, fühlte mich ganz schlecht, obwohl ich nichts dafür konnte, sie drehte sich zu ihren 20 Taschen und schimpfte laut mit sich: "Ich dumme Kuh, jetzt habe ich die richtige Nummer zuhause liegen lassen."  Da dreht sich einem doch der Magen um. Ich muss dazu sagen, dass wir in Kleinmachnow wohnen, das liegt direkt an Berlin dran, ein paar Meter nur bis offiziell Berlin anfängt. Das Mütterchen kam aber aus der nächsten Ortschaft und sie war mit Sicherheit mindestens 45 Minuten mit dem Rad unterwegs gewesen und tatsächlich gibt es bei ihr keine Commerzbank. Die Banken schließen immer mehr Filialen und da bleiben die alten Mütterchen auf der Strecke.

Diese Geschichte habe ich, seitdem sie passiert ist, im Kopf und jetzt überlege ich, wie ich den Bogen zur Wolle schlage. Vielleicht tatsächlich mal gar nicht, denn wenn man zu Ende denkt, kommt dabei heraus, dass die stationären Geschäfte abnehmen und der Onlinehandel zu. Manche haben in ihrer direkten Umgebung kein Wollgeschäft, kürzlich aus Hannover gehört, und sind so auf den Onlinehandel angewiesen. Aber will ich mir selbst ein Bein stellen? 

Davon abgesehen: es ist nicht in Ordnung, dass es immer weniger Bankfilialen gibt. Oder gebt den alten Mütterchen E-Bikes.

 

Euch allen eine schöne Woche!

 

Eure Antje